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Avishai Cohen: Seven Seas

Auf seinem letzten Trio-Album "Gently Disturbed", dem letzten Werk, das auf dem von ihm selbst gegründeten Label Razdaz Recordz erschien, bevor er bei Blue Note unterschrieb, beendete Avishai Cohen sein musikalisches Festmahl mit dem Stück „Structure in Emotion”, einer Melodie, die ihm besonders zusagt, denn sie taucht schon auf "Lyla" auf, der ersten unter seiner Regie veröffentlichten Platte von 2003.

Avishai CohenAvishai Cohen

Avishai Cohens Musik gleicht einem Strudel der Gefühle. Die Struktur der Songs, ihre intime Architektur überrascht immer wieder, nimmt unerwartete Wendungen, wie eine melodienreiche, pazifische, heilsame Zeitbombe. Mit seinen Kompositionen zügelt er die Gefühle, hält sie zurück, damit sie sich voll entfalten können, und verhindert somit, dass die Energie verpufft, bevor sie den Zuhörer erreicht. Der aus Jerusalem stammende Cohen, der sich inzwischen in Tel Aviv niedergelassen hat und den Ruf als einer der populärsten Jazzmusiker der letzten zehn Jahre genießt, nähert sich mit Seven Seas seinem künstlerischen Zenit.

AUS DEM HUT GEZAUBERT

Letztes Jahr veröffentlichte Cohen sein erstes Album auf Blue Note, Aurora. Ein Werk randvoll mit verwegenem Charme, dem der Kontrabass-Spieler, Komponist, Pianist und Arrangeur eine weitere Facette seines Schaffens hinzufügte – als Sänger. Bereits auf vorherigen Aufnahmen hatte er gesungen, doch eher mit einer gewissen Beiläufigkeit. Nun stellte er seine Stimme laut und klar in den Vordergrund.

Publikum und Kritiker waren sprachlos. Es war, als schaute man einem Zauberer zu. Seine Stücke waren immer schon grenzenlos (sowohl was Musikstile als auch was geographische Grenzen betraf), gleichwohl stark von traditioneller jüdischer Musik inspiriert. Aurora aber zeigte Avishai Cohens Talent in einem neuen Licht: der Komponist mit rastlosen Texten, der phänomenale Musiker, überraschende Liveperformer, den Chick Corea einmal als Genie bezeichnet hatte – jener Musiker, den Down Beat zum Jazzvisionär erkoren hat; all diese Facetten traten in den Schatten, um einen Sänger mit sanfter Stimme und kosmopolitischem Esprit zu offenbaren, der sowohl hebräische als auch arabisch-andalusische Untertöne vereinen konnte. Aurora schien eine neue Entwicklung in der Diskographie des Musikers zu markieren und war zugleich die Sichtbarwerdung einer künstlerischen Entwicklung, die über mehrere Jahre ihren Lauf genommen hatte.

Mit Aurora hatte Cohen seine Bühnenfamilie gefunden, ein einzigartiges Quintett, mit dem er gemeinsam um die Welt reiste. Wo sie auch spielten, ernteten sie warmen Applaus. Seven Seas erscheint nun wie die selbstverständliche Konsequenz dieser Erfahrungen, die natürliche Ernte von vielen Hundert Konzerten.

Cohen, der jahrelang die künstlerischen Möglichkeiten von Trios ausgelotet hatte, besann sich auf der Bühne einer Formel, in der die Melodien, die sich zwischen Karen Malkas Gesang und Amos Hoffmans Oud entspannen, eine ebenso gewichtige Rolle einnahmen wie das erdige Zusammenspiel von Itamar Doari an den Percussions und Shai Maestro am Piano. Diese Erfahrung inspirierte ihn, eine Teamarbeit ins Leben zu rufen, in deren Verlauf sein junger Percussion-Virtuose Co-Produzent des Projekts wurde.

CITIZEN KANE

In dieser Verfassung kamen im Herbst 2010 die Musiker für ein paar Wochen in dem Studio Nilento des Schweden Lars Nilsson zusammen, einem Paradies der friedlichen und kreativen Atmosphäre ebenso wie der technischen Ausstattung. Als wolle er sich mit einem Versprechen für die Zukunft wieder mit seinen Wurzeln befassen, arbeitete Avishai Cohen wieder einmal mit einem Toningenieur, mit dem ihn nicht nur professionelle Aspekte verbanden, ist Nilsson doch ein weiteres Mitglied von Cohens musikalischer Familie.

Immerhin war er der Baumeister von Continuo und Gently Disturbed, den Meilensteinen in Cohens Discographie, und er war stark daran beteiligt, den unberührten Kompositionen des Kontrabassisten ein öffentliches Forum zu bieten. Mit Lars Nilsson hatte Cohen nicht nur jemanden gefunden, der seine Musik aufnimmt, sondern jemanden, dessen Ohr und technische Fähigkeiten seinem künstlerischen Perfektionismus entsprechen.

Truffaut sagte einst über Orson Welles "Citizen Kane", es sei „der Film, der alle anderen zusammenfasst und vorwegnimmt.” Man ist geneigt, über Seven Seas und das Werk von Avishai Cohen das Gleiche zu sagen: Hier laufen alle Wege und Stimmen zusammen, die der Künstler seit Anfang der 1990er eingeschlagen und ausprobiert hat, als er erstmals in der New Yorker Jazzszene auftauchte und kurz darauf von Chick Corea protegiert wurde. Vor allem aber verkündet und präsentiert er ein noch ambitionierteres, subtileres und raffinierteres Kompositionswerk, ohne dabei die für ihn typische Energie, Ekstase und Emotionalität über Bord zu werfen.

Man braucht sich nur die verschlungenen Sounds von "Two Roses" anzuhören und schon ist man im Bilde. Mit seinen Kinderreimen, Schlafliedern und Suiten, prallvoll mit heroischer Inspiration und symphonischen Klängen, entführt uns Seven Seas auf eine phantastische Klangreise, in der Understatement und Großartigkeit ein nicht enden wollendes Ping-Pong-Spiel treiben und nicht selten fühlt man sich auf die große Kinoleinwand transportiert. Ist man erst einmal an den ersten, glücklich nostalgischen Referenzen vorbei, segelt man weiter entlang Rhythmus-Inseln und ganzen Klangkontinenten, bis man bei Cohens intensiver Stimme in einem klassischen Piano-Ladino Anker wirft.

Mit Seven Seas hat Cohen einen neuen künstlerischen Gipfel erklommen. Man könnte das Album als reifes Werk bezeichnen, wenn das nicht so viele schwere Assoziationen hervorriefe. Eher ist es ein Fusion-Album, das uns vielleicht einer wirklichen Odyssee näherbringt, ruft doch schon der Titel die Legenden und Mythen der Seefahrt in Erinnerung. Mit seinen vielen Wendungen und Drehungen ist Seven Seas fraglos das aufregendste Album des Künstlers.

 

Avishai Cohen

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