Woodism - Alternate Reality
Presseankündigung
Wenn ein völlig neues Stück Musik schon beim ersten Hören den spontanen Eindruck auslöst, man würde es seit Jahrzehnten kennen, ist das ein seltener Glücksfall. Auf "Alternate Reality", das dritte Album der schweizerischen Band Woodism um den Posaunisten Florian Weiss, trifft das zweifelsfrei zu.
Die zehn mit Posaune, Saxofon, Kontrabass und Schlagzeug sowie in ausgewählten Momenten mit Flöte und Glockenspiel eingespielten Tracks wirken so vertraut wie ein warmer Mantel im Schneesturm. Alles ist ganz neu und aufregend, und trotzdem wird es auf Anhieb zu körpereigener Musik.
Florian Weiss greift seine Kompositionen mitten aus dem Leben. Beinahe im Vorübergehen findet er winzige Ideen, die er mit einer ureigenen Mischung aus Neugier, Weltsicht und Lebenserfahrung anreichert, auf dass komplette Erzählstränge daraus werden. Dazu braucht er kein Konzept, sondern er kann auf seine Impulse und Instinkte vertrauen. Wenn er selbst das Bedürfnis verspürt, etwas Bestimmtes unbedingt hören zu wollen, kann er sich darauf verlassen, dass es Anderen genauso geht. Es muss nur noch umgesetzt werden. Der in Musik übersetzte Spiegel dieser entspannten Unbedingtheit ist die unverwechselbare Signatur von Woodism. "Ich muss außermusikalische Aspekte gar nicht bewusst in meine Musik einfließen lassen", so Weiss, "denn das geschieht beim Entwickeln eines Stückes ganz von selbst. Ich halte mich an Stimmungen, Jahreszeiten, Orte, Gerüche, Farben, Situationen oder das Wetter. In meinem Kopf entstehen Standbilder – mal klarer, mal weniger klar – die mir die Parameter eines Stückes vorgeben."
Um Missverständnissen vorzubeugen: Florian Weiss’ Songs sind keine Programmmusik. Er komponiert keine Blumensträuße oder Wassergläser, sondern in seine Tracks fließt ein, was er kennt und im Lauf seines Lebens aufgesogen hat. Er ist ein warmherziger Erzähler, den individuellen Narrativ für seine Fabeln zu finden, überlässt er aber seiner Hörerschaft. Der Schlüssel zur faszinierenden Zugänglichkeit dieser Musik liegt in ihrer Einfachheit, ohne dass sie deshalb jemals beliebig würde. Im Gegenteil, die Erkennbarkeit von Stimme und Handschrift ist ein unverzichtbares Merkmal des Albums. Diese verführerische Nahbarkeit basiert unter anderem auf dem gezielten Verzicht auf ein Harmonieinstrument.
Florian Weiss ist zwar der Leader von Woodism, aber das Zusammenspiel aller vier Stimmen basiert auf absoluter Gleichberechtigung. Mit Altsaxofonist Linus Amstad, Bassist Valentin von Fischer und Drummer Philipp Leibundgut ist er bereits seit seinem Studium eng verbunden. Jahre, in denen man eine gemeinsame Philosophie ausrollen konnte, in die sich jeder zu gleichen Teilen mit seinen Möglichkeiten und Besonderheiten einbringen kann. Jede Stimme ist genau das, was sie ist – gemeinsam ergeben sie etwas Komplettes, das alles Zusätzliche nicht nur überflüssig, sondern in diesem Kontext absolut undenkbar macht. Das kollektive Klangspektrum der Band erinnert an die Palette eines Malers, der aus den vorhandenen Farben alles rausholen kann, was er für ein Bild oder eine ganze Bilderfolge braucht.
Diese Sicherheit im Zugriff auf die jeweils erforderlichen Mittel drückt sich nicht zuletzt im Posaunenspiel von Weiss selbst aus. Er weiß um die Limitierungen des Instruments und versucht auf seinem Horn gar nicht erst, die Wendigkeit und Flexibilität anderer Blasinstrumente zu imitieren. Dafür vermag er auf der Posaune zu atmen und den Puls des Lebens auf eine ähnlich unverstellte Weise rüberzubringen wie vor ihm ein Albert Mangelsdorff oder Grachan Moncur III. Respekt gegenüber der Tradition gehört zum Idiom von Woodism, ohne dass diese an irgendeiner Stelle kopiert werden würde. Und wenn Saxofonist Linus Amstad in "Wabi-Sabi" zur Flöte greift oder Drummer Philipp Leibundgut in "Valse Des Papillons De Nuit" auf einem Glockenspiel tanzt, verbirgt sich dahinter eine zaghafte, aber nicht minder bewusste Öffnung ihrer eigenen Welt zu neuen Möglichkeiten.
Empathie und Menschlichkeit müssen nicht auf Transparente geschrieben werden, um sie in der Kunst voller Leidenschaft auszuleben. Florian Weiss, Linus Amstad, Valentin von Fischer und Philipp Leibundgut gelingt es, in ihren Stücken Rückzugsorte zu schaffen, in denen man sich aufhalten kann und nicht zu scheuen braucht, Wohlbefinden als persönlichen Gewinn zu akzeptieren. "Das hängt sicher mit einer Grundhaltung zusammen, dass das Positive überwiegt", vermutet Weiss. "Es muss nicht alles nur fröhlich sein, aber Wärme und Farbigkeit sind mir wichtiger als Distanz." In diesem Sinne ist "Alternate Reality" in Zeiten der inneren und äußeren Entfremdung ein unüberhörbares Zeichen der Zuversicht und des offenen aufeinander Zugehens, das – und darüber besteht kein Zweifel – lange über die unmittelbare Gegenwart hinaus strahlen wird.
(Wolf Kampmann)
It is a rare stroke of luck when a completely new piece of music triggers the spontaneous impression that one has known it for decades. This is undoubtedly true of Alternate Reality, the third album by the Swiss band Woodism, based on trombonist Florian Weiss.
The ten tracks, recorded with trombone, saxophone, double bass and drums – and with flute and glockenspiel at selected moments – seem as familiar as a warm coat in a snowstorm. Everything is brand new and exciting, and yet instantly becomes music that’s deeply ingrained in the body.
Florian Weiss takes his compositions from the thick of life. Almost in passing he finds tiny ideas, which he enriches with his very own mixture of curiosity, world view and life experience so that complete narrative strands emerge from them. He doesn’t need a concept for this, but can trust his impulses and instincts. If he feels the need to hear something in particular, he can rely on others feeling the same way – it only has to be put into practice. Woodism translates this relaxed necessity into music – reflecting the band’s unmistakable signature. "I don't even have to consciously incorporate extra-musical aspects into my music," says Weiss, "because that happens all by itself when I develop a piece. I stick to moods, seasons, places, smells, colors, situations or the weather. Still images emerge in my mind – sometimes clearer, sometimes less so – and provide me with the parameters of a piece." …
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